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Ludwig IV. der Bayer



Zum Buch

1328 wurde Ludwig IV. (1282 (?)–1347) in Rom zum Kaiser gekrönt – der Höhepunkt einer erstaunlichen Karriere des zweiten Sohns des Herzogs von Oberbayern.

Ludwig war der einzige Wittelsbacher, der es im Mittelalter auf den Kaiserthron schaffte; er war und ist ein wichtiger Bezugspunkt einer bayerisch-nationalen Identität. Als römisch-deutscher König lenkte er die Geschicke des Heiligen Römischen Reiches und stellte wichtige Weichen, als Kaiser führte er die jahrhundertealte Konkurrenz der römisch-deutschen Könige und Kaiser mit den Päpsten zu einem Höhe- und Endpunkt.

Diese Biografie zeichnet die Herrschaft Ludwigs von den Anfängen bis zum Tod nach und macht deutlich, wo sich Landesherrschaft und Reichsherrschaft ergänzten oder blockierten und wo die Auseinandersetzungen mit der Kurie die Reichsgeschichte beeinflussten.

Zum Autor

Martin Clauss, PD Dr. phil., lehrt Mittelalterliche Geschichte an der Technischen Universität Chemnitz.

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

Dr. Thomas Götz, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und legte mehrere Veröffentlichungen, vor allem zu Stadt und Bürgertum in Bayern und Tirol im 18., 19. und 20. Jahrhundert, vor. Darüber hinaus arbeitet er im Museums- und Ausstellungsbereich.

Martin Clauss

Ludwig IV. – der Bayer

Herzog, König, Kaiser

Verlag Friedrich Pustet

Regensburg

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eISBN 978-3-7917-6013-1 (epub)

© 2014 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2560-4

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finden Sie auf www.verlag-pustet.de

Kontakt und Bestellungen unter [email protected]

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  Ludwig wer? Eine Einführung

Im April 1782 besuchte Papst Pius VI. die Frauenkirche in München und feierte dort eine Messe. Gerard Führer, der Abt des Klosters Fürstenfeld, berichtet hierzu, dass der Papst trotz entsprechender Hinweise dem aufwändig gestalteten Grabmal Kaiser Ludwigs IV., des Bayern, keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt habe.

Im Dezember 1973 – also 660 Jahre nach der Schlacht von Gammelsdorf – wurde in der Gemeinde Gammelsdorf (Landkreis Freising) der Schützenverein »Ludwig der Bayer« wiederbegründet.

Die Gestalt Ludwigs IV. – des Bayern polarisiert also: Der eine möchte sein Grab nicht einmal ansehen, die anderen stellen sich bewusst in seine Tradition. Beide Verhaltensweisen haben mit der historischen Person, aber auch mit dem jeweiligen Verständnis von Geschichte zu tun. Papst Pius wollte das Grabmal eines exkommunizierten Ketzers nicht zur Kenntnis nehmen; dessen Aufstellung in einer katholischen Kirche ist ungewöhnlich und nach katholischem Kirchenrecht eigentlich untragbar. Die Schützen suchten hingegen die Nähe zum Sieger von Gammelsdorf, mit dem sie der Ort der Schlacht und das Bayerische verbindet. Ludwig ist beides: verdammter Ketzer und verehrter Bayer.

Klärungsbedarf besteht schon allein beim Namen oder der Bezeichnung: Die einen kennen ihn als ›Ludwig den Bayern‹ – in der Zählung der römisch-deutschen Könige und der bayerischen Herzöge ist er ›Ludwig IV.‹. In zwei Urkunden – einer in lateinischer, einer in deutscher Sprache – aus dem Jahr 1333 führt er selbst folgende Titel, die sich inhaltlich entsprechen: Ludowicus dei gratia Romanorum imperator semper augustus und Wür Ludwig von gottes genaden Roemischer kaiser, zu allen zeitten mehrer deß reichs.1 Der Chronist Mathias von Neuenburg, ein Zeitgenosse Ludwigs, nennt ihn einmal: De Ludowico Bawaro Romanorum imperatore, also: »Über Ludwig den Bayern, den römischen Kaiser«.2

Die unterschiedlichen Bezeichnungen sind Ausdruck einer konfliktreichen Herrschaft und der modernen Rezeption dieses Wittelsbachers. Bawarus – das war im 14. Jahrhundert zunächst als Schimpfname gemeint. Dabei ging es nicht um ein Völkerstereotyp, das die Bayern als Gruppe abwerten sollte. Entscheidend war vielmehr, dass Ludwig mit dieser Bezeichnung seiner Titel und Würden entkleidet wurde: Er war nicht mehr Kaiser, König und Herzog, sondern lediglich ›der Bayer‹. Somit kombiniert der Chronist Mathias von Neuenburg – und mit ihm etliche moderne Historiker – zwei eigentlich gegensätzliche Namensbestandteile, wenn er Ludwig als ›Bawarus‹ und Kaiser bezeichnet.

Wenn nun die Gammelsdorfer Ludwig als ›den Bayern‹ bezeichnen, zeigt dies freilich nicht, dass die Gegner Ludwigs triumphiert hätten. Die Konnotation hat ihren Charakter geändert und sich ins Gegenteil verkehrt: Heute wird dieser Beiname nicht mehr abwertend, sondern als positiver Hinweis auf eine Gruppenzugehörigkeit gedeutet – es steht der landsmannschaftliche Zusammenhalt im Vordergrund. Ludwig ist nun Teil einer als bayerisch verstandenen Geschichte und Tradition, auf die man stolz ist.

Im Zentrum dieser Biografie steht also eine historische Person, der man sich unter verschiedenen Blickwinkeln nähern kann und deren Leben von zahlreichen Konflikten geprägt war. Vor diesem Hintergrund kann es nicht darum gehen, Partei zu ergreifen, sondern historische und moderne Wertungen zu kontextualisieren. Die neutrale Bezeichnung, die daher im Folgenden Verwendung findet, ist Ludwig IV.; ›der Bayer‹ soll unser Protagonist nur im entsprechenden historischen Kontext des 14. Jahrhunderts und bezüglich der bayerischen Memoria im 19. Jahrhundert genannt werden.

Auf etliche Fragen zu Ludwigs Leben können wir heute keine befriedigende Antwort geben, weil uns die entsprechenden Quellen fehlen. Jede geschichtswissenschaftliche Darstellung ist auf die Informationen angewiesen, die wir den Chroniken, Briefen, Urkunden, Traktaten, Gesetzen und Bildern der Zeit entnehmen können. Was nicht in den Quellen steht, können wir in gewissem Umfang erschließen; vieles bleibt aber unzugänglich. Dies betrifft auch Bereiche, die für ein modernes Verständnis von Biografie entscheidend sind, wie etwa das Innenleben Ludwigs. Wir haben keine Tagebücher, persönlichen Briefe oder eine Autobiografie, die uns unmittelbar Einblick in die Beweggründe unseres Protagonisten gewähren würden. Wir müssen in der Regel von der Handlung oder der öffentlichen Verlautbarung auf die Intention rückschließen. Dem sind freilich methodische Grenzen gesetzt. Der biografische Zugang verleitet zwar leicht dazu, die beschriebene Person mit einem Menschen unserer Zeit gleichzusetzen – hier muss man sich aber der Gefahr bewusst sein, die in der Annahme anthropologischer Konstanten liegt. Wir dürfen nicht unhinterfragt davon ausgehen, dass die Menschen des 14. Jahrhunderts in uns vertrauten Kategorien gelebt haben. Statt uns in Ludwig hineinversetzen zu wollen, müssen wir uns vielmehr der Zeitgebundenheit diverser Kategorien bewusst werden. Dies betrifft den menschlichen Bereich – Emotion, Charakter, Gläubigkeit – ebenso wie den politischen. So können wir etwa die Ehen Ludwigs nicht mit unseren Maßstäben von glücklicher Ehe und Privatheit messen, sondern müssen ihre Darstellung in den zeitgenössischen Quellen als Reflex auf ein politisch-dynastisches Verständnis begreifen.

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Abb. 1  Grabmal Ludwigs IV. in der Münchener Frauenkirche – 1622 im Auftrag Kurfürst Maximilians I. gestaltet

Wie bei etlichen geschichtswissenschaftlichen Darstellungen ist Vieles vom Folgenden das Ergebnis eines Abwägungsprozesses und eher Meinung als Faktum. Dies gilt vor allem für Urteile und Interpretationen. Dieses Buch zeigt meinen Ludwig, weniger den Ludwig. Dabei werde ich der Quellenlage und den methodischen Schwierigkeiten auch dadurch Rechnung tragen, dass ich die eigene Sprachlosigkeit zulasse und Lücken in der geschichtswissenschaftlichen Konstruktion der Vergangenheit sichtbar mache. Das lässt Ludwig sicherlich weniger heroisch und sein Bild vielleicht auch weniger plastisch erscheinen; es regt aber hoffentlich zum Nachdenken über Ludwig und unser Geschichtsverständnis an.

Chancen und Grenzen historischer Biografien

Das Genre der historischen Biografie erfreut sich großer Beliebtheit, nicht zuletzt, weil man sich an der Seite einer historischen Person leichter in die Zeitumstände einfühlen kann. Mitunter meint man sogar, die Vergangenheit mit den Augen des Protagonisten zu sehen; man findet sich gewissermaßen wieder in einem Menschen, der Pläne schmiedet, Ängste aussteht und Erfolge feiert. Dieses Verständnis von Geschichte ist aber nicht unproblematisch, und das Genre ›Biografie‹ steckt für den Historiker voller Tücken. Diese gilt es am Anfang dieses Buches zu benennen, weil sich dessen Darstellung auch als Reaktion auf diese Probleme versteht.

Dem Genre liegen oftmals unhinterfragt einige Annahmen zu Grunde. Hierzu gehört die Vorstellung von einer persönlichen Entwicklung jedes Menschen, die in der Kindheit grundgelegt wird. Jugend und Erziehung lassen in dieser Lesart erahnen, wie der Erwachsene sich verhalten wird, und dienen als Erklärung. Oftmals greift hier das der Natur entlehnte Muster von Wachstum, Blüte und Verfall. Hinzu tritt ebenso häufig – und das erscheint zunächst paradox – die Vorstellung vom im Grundsatz unveränderlichen Charakter eines Menschen. Zumindest für den Erwachsenen wird die persönliche Disposition als ausschlaggebend für Entscheidungen und Verhalten angesehen. Ein Herrscher ist wankelmütig und ängstlich – und daher sein politisches Handeln sprunghaft und vorsichtig. Hierbei ist kaum Raum für Veränderung mitgedacht, und es besteht immer die Gefahr eines Zirkelschlusses: Schließen wir vom Charakter auf den Politikstil oder umgekehrt?

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat in diesem Kontext von der »biografischen Illusion« gesprochen. Damit ist ein Phänomen benannt, das wir alle aus unserem Alltag kennen: Wenn wir unser Leben – etwa im Rahmen einer Bewerbung – präsentieren sollen, streben wir danach, einen im Sinne der Anforderungen stimmigen Lebenslauf vorzulegen: Zufälligen Entwicklungen wird bewusste Planung unterlegt, Lücken werden gefüllt oder verschleiert, und aus einer Vorher-Nachher-Abfolge wird eine kausale Entwicklung gemacht.

So wie der Lebenslauf aus einem Leben eine Karriere formt, steht die historische Biografie in der Gefahr, die Informationen über ihren Protagonisten zu einer abgeschliffenen, zwangsläufigen Entwicklung zu formen.

Zuweilen wird der Protagonist der Biografie obendrein zum idealisierten Helden, weil durch die Dauer der wissenschaftlichen Beschäftigung oder eine außerwissenschaftliche Komponente Nähe zwischen Autor und Objekt entsteht. Gerade bei ›unserem‹ Ludwig kann man eine bayerische von einer nicht-bayerischen Geschichtsschreibung unterscheiden. Erstere zeichnet sich oft durch große Nähe und Bewunderung für den Wittelsbacher, Letztere durch Desinteresse und große Kritikfreudigkeit aus. Auch der Schwerpunkt der Darstellungen kann variieren: Mal interessiert vor allem das Herzogtum Bayern, mal wird dieses kaum thematisiert. Jede historische Biografie bewegt sich also zwischen Perspektivität, Konstruktion und Illusion.

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  Ludwig der Mensch

Ein Biograf versucht in der Regel, Aussehen und Charakter seines Protagonisten so darzustellen, dass seine Persönlichkeit für die Leserschaft greifbar wird.

Dieses Anliegen gestaltet sich in unserem Falle schwierig: Weder Aussehen noch Charakter Ludwigs IV. sind zweifelsfrei zu ermitteln. Das liegt nicht nur an den Schwierigkeiten, die man bezüglich einer Charakterstudie bei jedem, auch einem modernen Menschen hat. Was macht den Charakter eines Menschen aus? Was ist Erziehung, was Veranlagung, wo greifen wir den Mensch, wo den Zeitgeist?

Für Ludwig treten Quellenprobleme sowie die Tatsache hinzu, dass seine Herrschaft von einem gravierenden Konflikt gekennzeichnet war, der jede seiner Handlungen überschattete: dem Kampf mit dem Papst um die Rechtmäßigkeit seines Königtums. Dieser führte nicht nur zu Ludwigs Exkommunikation, sondern auch dazu, dass letztlich alle Nachrichten, die uns zu Ludwig von Zeitgenossen vorliegen, Partei ergreifen. Sie loben den Herrscher und betonen seine Größe und Bedeutung – oder verdammen ihn als Ketzer und verweisen auf seine Defizite. Eine Trennung zwischen Person und Funktion nehmen die meisten Quellen dabei nicht vor; die Amtsführung wird immer auch als Charakterfrage verstanden, und dies hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Informationen zum Menschen Ludwig.

Ludwig als Vater und Ehemann

Ludwig IV. war nicht nur Herzog, König und Kaiser, sondern auch Ehemann und Vater. In den Quellen treten uns seine Frauen und Kinder allerdings ausschließlich als Teil des politisch-öffentlichen Lebens des Herrschers entgegen. Wir wissen letztlich nichts über das, was wir heute das Privatleben Ludwigs nennen würden. Liebte er seine Frauen und seine Kinder? Machte er sich darüber jemals Gedanken? Ludwig hatte mit zwei Ehefrauen insgesamt 16 Kinder, von denen ihn zwölf überlebten. Als Herzog von Bayern heiratete er vor dem Jahr 1313 Beatrix von Schlesien-Schweidnitz aus der schlesischen Linie der Piasten. Über Beatrix erfahren wir aus den Quellen nur sehr wenig; vor ihrer Ehe mit Ludwig tritt sie nicht in Erscheinung und auch zur Herzogin und Königin bleiben die Nachrichten spärlich. In der Chronik von den Taten der Fürsten, die von einem Mönch des wittelsbachischen Klosters Fürstenfeld um 1330 verfasst wurde, finden sich gerade zwei Zitate zu Beatrix: »Mit diesen [Kämpfern] begibt er [Ludwig] sich unter großer Prachtentfaltung nach Aachen und wir hier mit seiner Gemahlin Beatrix von den ehrwürdigen Bischöfen von Mainz und Trier feierlich gekrönt.« und »Das Weihnachtsfest feierte er [Ludwig IV.] in München, wo nicht lange danach die gnädigste Königin Frau Beatrix einer Krankheit erlag und von Gott zu sich genommen wurde. Ihr wurde in der genannten Stadt im Münster der seligen Jungfrau Maria ein Grabmal errichtet, in dem sie unter den gebührenden Feierlichkeiten beigesetzt wurde.«3 Beatrix interessiert hier nur als Ehefrau Ludwigs, nicht als Person.

Das Paar hatte sechs Kinder, vier Töchter und zwei Söhne. Die Söhne folgten ihrem Vater in der Herrschaft und übernahmen Teile der wittelsbachischen Hausmacht. Der älteste Sohn wurde auf den Namen seines Großvaters und Vaters getauft und firmiert in der Forschung als Ludwig V., der Brandenburger (1315–1361). Zu Lebzeiten des Vaters war er Teil von dessen politischen Aktionen: 1323 machte sein Vater ihn zum Markgrafen von Brandenburg und damit zu einem der sieben Kurfürsten, 1324 wurde er mit Margarete von Dänemark verheiratet und nach deren Tod (1340) mit Margarete, der Gräfin von Tirol. Diese zweite Hochzeit brachte Tirol an die Wittelsbacher und zeigt deutlich, dass der Sohn den Wünschen des Vaters entsprechen musste: Zeitgenossen erzählen vom anfänglichen Unwillen Ludwigs V., sich in die Heiratspläne seines Vaters zu fügen, weil Margaretes erste Ehe von der Kurie nicht annulliert worden war. Auch wenn diese Anekdote eine Erfindung sein mag, zeigt sie doch, dass sich der Sohn dem Willen des Vaters zu beugen hatte.

Der zweite Sohn aus erster Ehe war Stefan II., der nach dem Tod seines Vaters die Herrschaft in Teilen Bayerns übernahm. Er wurde 1328 mit Elisabeth von Sizilien verheiratet. Beide Söhne wurden also mit Prinzessinnen vermählt, den Töchtern der Könige von Dänemark und Sizilien; hier werden die dynastischen Ansprüche des Wittelsbachers und die Tatsache deutlich, dass Ludwigs Königtum in Europa Anerkennung fand.

Über die Töchter aus der ersten Ehe Ludwigs wissen wir weit weniger als über die Söhne; in der patriarchalen Welt des Mittelalters lag das politische Interesse und damit auch der Fokus der Quellen auf den Männern. Für eine Tochter von Beatrix und Ludwig ist nicht einmal ein Name überliefert, zwei weitere – Anna und Agnes – starben sehr jung. Die älteste Tochter – das erste Kind – Mechthild heiratete 1328 den Markgrafen Friedrich II. von Meißen.

Nach dem Tod seiner ersten Frau 1322 heiratete Ludwig – inzwischen römisch-deutscher König – im Jahr 1324 die Tochter des Grafen Wilhelm von Holland und Hennegau: Margarete. Aus dieser Ehe, die bis zum Tod Ludwigs 1347 anhielt, gingen zehn Kinder hervor: Margarete, Anna, Ludwig VI. – nach seinem Geburtsort ›der Römer‹ genannt –, Elisabeth, Wilhelm I., Albrecht I., Otto V., Beatrix, Agnes und wieder ein Ludwig; der dritte Sohn dieses Namens ist kurz nach seiner Geburt verstorben. Politischen Einfluss gewann Margarete nach dem Tod ihres Bruders, der sie zur Erbin von Holland und Hennegau machte. Auch über die zweite Ehe Ludwigs lassen die Quellen keine Aussagen zu. Mitunter wird in der Forschung aus der hohen Kinderzahl auf den Zustand der Ehe geschlossen, was methodisch freilich fragwürdig ist.

Ludwig IV. und seine Nachkommen

Рис.1 Ludwig IV. der Bayer

Schwarze oder rote Haare? – Ludwigs Aussehen

Wir wissen nicht, wie Ludwig IV. genau ausgesehen hat. Zeitgenössische Abbildungen unterliegen immer dem Verdacht, die Wirklichkeit einem Ideal zu unterwerfen. Und selbst wenn man etwa das Ludwig-Portrait des Kanzleinotars Leonhard von München aus dem Jahr 1339 für realistisch halten will, vermittelt es doch nur einen sehr vagen Eindruck vom Aussehen des Kaisers.

Auch textliche Beschreibungen helfen nur bedingt weiter: »Es war aber der Kaiser Ludwig körperlich groß und wohlgestaltet. Ihn hatte die Natur zum Regieren geschaffen […]. Er war von geradem und hohem Wuchs und hatte einen biegsamen Nacken, der wie halb nach oben gereckt war. Die Stirn war breit und heiter, frei und offen, die Augen klar, groß, durchdringend und von anziehender Freundlichkeit, die Oberlippe aufwärts gebogen, Haupthaar und Bart reichlich lang, schwarz und kraus, die Gesichtsfarbe weiß und rot: Kurz, er war sehr schön am ganzen Körper, und liebenswürdig war sein Gesichtsausdruck.«4 Mit diesen Worten beschreibt Heinrich von Herford, ein Zeitgenosse Ludwigs, den Kaiser. Ob er ihn jemals mit eigenen Augen gesehen hat, ist ungewiss. Dieses Herrscherportrait macht uns die Zeitgebundenheit ästhetischer Deutungen und die enge Verbindung von Wertung und Beschreibung einer Person klar. Wir haben es hier also weniger mit einer objektiven Beschreibung denn mit einer Typisierung zu tun: Der gute Herrscher ist schön.

Seine zunächst positive Beschreibung Ludwigs verkehrt Heinrich von Herford am Ende seiner Schilderung sehr effektvoll ins Gegenteil: Er führt aus, Ludwig habe all seine guten Anlagen durch seine Ketzerei »vernichtet und inhaltslos« gemacht. Es geht hier also weniger darum, Ludwig zu beschreiben, als darum, sein Handeln zu bewerten.

Hinzu tritt der Umstand, dass es schwierig sein kann, aus einer textlichen Schilderung auf das tatsächliche Aussehen rückzuschließen: Was sollen wir uns unter einem cervix semisupinus, einem »wie halb nach oben gereckten Nacken« genau vorstellen?

Die Schilderungen Heinrichs decken sich zudem nicht in allen Punkten mit den Angaben anderer Zeitgenossen. Nach dem aus Padua stammenden Alberto Mussato hatte Ludwig rötliches Haar, nicht schwarzes. Beide Beschreibungen stimmen aber darin überein, dass Ludwig die körperlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Kämpfer erfüllte. Dies wird mit einem durchsetzungsstarken Herrscher und Helden assoziiert und als Eigenschaft verstanden, die für einen König von Bedeutung ist. Es ist dabei letztlich nicht zu klären, was hier Darstellungskonvention, Beschreibung der Wirklichkeit oder literarische Freiheit ist. Wir können uns über diese Unklarheit damit hinwegtrösten, dass die Frage des Aussehens für eine geschichtswissenschaftliche Betrachtung Ludwigs IV. von nachgeordneter Bedeutung ist.

»Der große Adler« – Ludwigs Charakter

Was für das Aussehen gilt, trifft für den Charakter erst Recht zu: Jede Beschreibung ist Wertung und literarisches Konstrukt. Mathias von Neuenburg beginnt den Abschnitt seiner Chronik, der sich mit Ludwig auseinandersetzt, wie folgt: »Merke wohl auf, Geschichtsschreiber, nimm deinen Verstand zusammen; du hast eine schwere Arbeit, wenn du es unternimmst, den großen Adler zu schildern, welcher langsam und lange fliegt, in der Torheit weise, in der Gleichgültigkeit sorgsam, in der Trägheit wild, in der Trauer vergnügt, im Kleinmut starkmütig, den mit angebrannten Flügeln sich aufschwingenden und im Unglück glücklichen.«5

Dieser Auszug macht viele der Probleme deutlich, denen wir uns bei der Charakterisierung durch Zeitgenossen gegenüber sehen: Mathias geht es hier ganz offensichtlich in erster Linie darum, seine eigenen Fähigkeiten als Autor unter Beweis zu stellen. Die Charakterisierung Ludwigs ist literarisch gestaltet und basiert auf einer Aneinanderreihung widersprüchlicher Attribuierungen. Dem stellt der Autor einen Aufruf voran, der die Schwierigkeiten der Aufgabe thematisiert und damit implizit das eigene Schaffen lobt. Der Symbolwert des Adlers – der hier als kaiserliches Tier für Ludwig steht – wird mit der Anspielung an den Ikarus-Mythos kombiniert. Wie der Sohn des Dädalus der Sonne zu nah kam, so schwingt sich auch Ludwig zu unziemlichen Höhen auf und ist dabei doch vom Glück begünstigt. Das alles soll in erster Linie Mathias von Neuenburg als versierten Erzähler präsentieren. Insgesamt steht der Chronist Ludwig eher distanziert und kritisch gegenüber.

Unter den Zeitgenossen finden sich auch Anhänger Ludwigs; entsprechend positiv fällt ihre Wertung aus, wie etwa in der Chronik Kaiser Ludwigs IV.: »Im Jahr 1347 entschlief in Frieden der ruhmreiche Kaiser, Vater des Friedens, der Freund der Geistlichkeit und des Volkes, der äußerst glückliche Triumphator, der freigiebige, zuverlässige, weise, wahrhaft christlich gesinnte und rechtgläubige Fürst, den nie ein Feind überwand.«6

Dieser Darstellung, die offensichtlich Partei ergreift, können wir allenfalls die Kategorien entnehmen, die in den Augen der Zeitgenossen einen guten Herrscher ausmachten. Dieser sollte friedliebend, freigiebig, zuverlässig, weise, kriegerisch erfolgreich und gottesfürchtig sein. Für Ludwig IV. kann man diese Kategorien je nach Standpunkt sehr unterschiedlich bewerten. So nahmen er selbst und sein Parteigänger für ihren Kaiser in Anspruch, den Frieden gesucht und die Kirche geachtet zu haben, was etwa sein Gegenspieler Papst Johannes XXII. vehement verneinte.

Es sind in erster Linie die Funktionen Ludwigs, die in den Quellen ihre Spuren hinterlassen haben. Über den Menschen Ludwig und seinen Charakter wissen wir letztlich sehr wenig; sehr viel mehr können wir über den Herzog, König und Kaiser sagen.

3

  Jüngster Sohn, Pfalzgraf und Herzog (bis 1314)

»Lodwich, von gotes genaden pfallentzgraf bi dem Reyn und hertzog in Beyern« – so lautet der Titel Ludwigs IV. in einer Urkunde von 1310. Wir greifen ihn hier als Funktionsträger: Von Gottes Gnaden war Ludwig Pfalzgraf bei Rhein und Herzog in Bayern. Bis zum Jahr 1314, als Ludwig zum römisch-deutschen König gewählt wurde, waren das Herzogtum und die Pfalzgrafschaft die alleinigen Bezugspunkte seines politischen Handelns.

Die Wittelsbacher

Ludwig IV. war der jüngste Sohn Ludwigs II., des Strengen, und seiner dritten Frau Mechthild von Habsburg. Ludwig II. war Pfalzgraf bei Rhein und Herzog in Bayern, Mechthild die Tochter König Rudolfs von Habsburg. Unser Ludwig, der sowohl als Herzog von Bayern, als auch als römisch-deutscher König als ›der Vierte‹ zählte, war ein Wittelsbacher und gehörte damit zu einer der vornehmsten Familien des Reiches. Der heute übliche Name der Dynastie leitete sich von der Burg Wittelsbach (in der Nähe von Aichach) ab. Der Aufstieg der Familie gründete auf Dienst und Treue für das Königtum. 1180 hatte König Friedrich I. den Wittelsbacher Otto I. zum Herzog von Bayern erhoben, 1214 hatte König Friedrich II. dessen Sohn Ludwig I. die Pfalzgrafschaft bei Rhein verliehen. Damit hielten die Wittelsbacher zwei Reichsfürstentümer und mit der Pfalz das Anrecht auf eine Kurstimme. Ludwig II. war der Enkel Ludwigs I. und teilte sich die Herrschaft mit seinem jüngeren Bruder Heinrich XIII. Besitz und Titel fielen nicht nur an den ältesten, sondern an alle männliche Erben. Ludwig der Strenge und sein Bruder Heinrich führten beide die Titel ›Pfalzgraf‹ und ›Herzog‹ und herrschten zunächst gemeinsam über die wittelsbachischen Besitzungen. Im Jahr 1255 teilten sie nach Streitigkeiten die Herrschaft untereinander; dies entsprang dem Selbstverständnis der Dynastie, welche das Fürstentum als Familienbesitz ansah, mit dem gleichsam nach privatrechtlichen Vorstellungen verfahren werden konnte. Heinrich erhielt Niederbayern und machte Landshut zu seinem Hauptsitz, der ältere Ludwig erhielt die Pfalz und Oberbayern; Zentren seines Herrschaftskomplexes waren Heidelberg und München. Beide Brüder führten auch nach der Teilung die Titel ›Pfalzgraf‹ und ›Herzog‹. Die Teilung in Ober- und Niederbayern sollte zukunftsweisend sein, wenn sie auch nicht ununterbrochen Bestand hatte – Ludwig IV. wird es 1340 gelingen, ganz Bayern wieder in seiner Hand zu vereinen. Ab 1255 waren die wechselvollen Beziehungen zwischen Ober- und Niederbayern ein wichtiger Faktor der wittelsbachischen Geschichte – weitere Teilungen sollten folgen.

Das Haus Wittelsbach von Otto I. bis Ludwig IV.

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Der Vater: Ludwig II. – der Königsmacher

Ludwig II. war drei Mal verheiratet. Seine erste Frau, Maria von Brabant, hatte er 1256 hinrichten lassen, weil er sie zu Unrecht der Untreue beschuldigte. Wegen dieser Untat haftete ihm auch der Beiname ›der Strenge‹ an. Als Sühne für diese Tat gründete er das Zisterzienserkloster Fürstenfeld. Mit seiner zweiten Ehefrau, Anna von Schlesien-Glogau, hatte Ludwig unter anderem einen Sohn, der ebenfalls auf den Namen Ludwig getauft wurde. Er starb 1290 bei einem Turnier. Nachdem Anna gestorben war, heiratete Ludwig die Habsburgerin Mechthild; mit ihr hatte er zwei Söhne: Rudolf I. und ›unseren‹ Ludwig. So hatte das Paar zwei Söhne gleichen Namens, die gleichzeitig lebten. Dies war im Mittelalter zwar nicht die Regel, kam aber vor. Ludwig IV. selbst sollte dreien seiner Söhne den Namen Ludwig geben.

Ludwig II. war einer der einflussreichsten Reichsfürsten seiner Zeit. Als Pfalzgraf bei Rhein war er einer von sieben Kurfürsten und gleichzeitig Reichsvikar, also Stellvertreter des Königs bei dessen Abwesenheit oder bei Thronvakanz. Als im Jahr 1273 ein neuer römisch-deutscher König gewählt wurde, war er erst Kandidat, dann Königsmacher und setzte sich für Rudolf von Habsburg ein. Mit dessen Wahl am 1. Oktober 1273 war der Wahlgedanke im römisch-deutschen Königtum deutlich zum Ausdruck gebracht worden: Die Reichsfürsten wählten mit Rudolf einen Grafen von lediglich regionaler Bedeutung zum König, dessen Armut sprichwörtlich werden sollte. Damit setzten sie bewusst ein Zeichen gegen ein Königtum, das von einer großen Reichsdynastie – wie etwa den Staufern – getragen wurde. Die Königserhebungen seit 1273 waren grundsätzlich von zwei Bestrebungen geprägt: Die Kurfürsten pochten auf ihr Wahlrecht und wählten Herrscher aus verschiedenen, mitunter wenig einflussreichen Familien. Die jeweiligen Könige versuchten, den Thron für die Dynastie zu sichern und ihre Königswürde für ihre Hausmacht nutzbar zu machen.

Рис.3 Ludwig IV. der Bayer

Abb. 2  Ober- und Niederbayern nach der Teilung von 1255

Im ausgehenden 13. und frühen 14. Jahrhundert kam es so zu einer Abfolge von Königen aus verschiedenen Dynastien. Die bedeutendsten waren die Habsburger, die Luxemburger und die Wittelsbacher. Sie stellten im 14. Jahrhundert die römisch-deutschen Könige. Unter diesen Familien waren die Wittelsbacher die älteste und die einzige, die schon vor dem Aufstieg zum Königtum über zwei reichsfürstliche Titel verfügte.

Die enge Verbindung Ludwigs II. zu Rudolf von Habsburg wurde nach dessen Königswahl durch seine Heirat mit Mechthild, der ältesten Tochter des Königs, weiter bekräftigt: Der Königsmacher wurde zum königlichen Schwiegersohn; Ludwig IV. war also durch seine Mutter mit den Habsburgern verwandt. Sein Vater starb 1294 und hinterließ formal die Herrschaft seinen beiden Söhnen, de facto aber führte der ältere Rudolf die Regierung alleine. Zwischen den beiden Brüdern entstand eine beinahe lebenslange Rivalität, welche die Geschicke des Hauses Wittelsbach für die kommenden Jahrzehnte prägen sollte. Wie zuvor schon zwischen Ludwig II. und Heinrich XIII. funktionierte die gemeinsame Herrschaft zweier Brüder nur schlecht.

Das Geburtsjahr Ludwigs IV.

Über Kindheit und Jugend Ludwigs IV. wissen wir so gut wie nichts. Auf ein Psychogramm des jungen Ludwigs als Grundlage für seine charakterliche Entwicklung muss daher – wie gesehen – verzichtet werden. Selbst das Geburtsdatum ist nicht sicher überliefert – und zwar weder Tag noch Jahr. Letzteres kann aus verschiedenen Quellenbelegen erschlossen, aber nicht sicher nachgewiesen werden, so dass die Forschung verschiedene Geburtsjahre vertritt: 1282, 1283, 1286 und 1287. Waldemar Schlögl hat sich für das Frühjahr 1282 stark gemacht, und ein Großteil der Forschung folgt ihm darin.7 Die Unsicherheit rund um das Geburtsdatum ist zunächst ein Beleg für die Quellenlage, auf der unser Biogramm fußen muss. Das Mittelalter feierte keine Geburtstage, die Kindersterblichkeit war hoch und das Alter eines Menschen – etwa im Sinne juristischer Volljährigkeit – von nachgeordneter Bedeutung: All das führte dazu, dass man den genauen Termin der Geburt nicht regelmäßig festhielt. Für die Zeitgenossen war das genaue Alter kaum von Belang: Anlässlich der Königswahl im Oktober 1314 merkt der Chronist Heinrich der Taube von Selbach an, Ludwig sei »ungefähr 30 Jahre alt gewesen.«8

Für den modernen Biografen spielt das Alter hingegen eine gewisse Rolle: Geht man vom frühesten Termin aus, agierte Ludwig erst in relativ hohem Alter selbstständig. Bei seiner Königswahl wäre er 32 und bei seiner ersten eigenständigen Aktion als bayerischer Landesherr, dem sogenannten Schneitbacher Rittertag im Jahre 1302, immerhin schon 20 Jahre alt gewesen. Auffällig ist, dass Ludwig die Urkunde von 1302 nicht mit seinem eigenen Siegel, sondern dem seiner Mutter und seiner Schwägerin bestätigte. Offenbar verfügte er noch nicht über ein eigenes Siegel, was für einen 20-jährigen, amtierenden Herzog eher unwahrscheinlich ist. Die Urkunde von 1302 ist daher ein Indiz für ein späteres Geburtsdatum.

Interessant ist auch die Frage nach dem Altersunterschied zwischen Ludwig und einigen anderen Akteuren seiner Zeit. Sein älterer Bruder Rudolf I. wurde 1274 geboren, sein habsburgischer Vetter Friedrich 1289. Je nach Geburtsjahr trennen Ludwig also von seinem älteren Bruder acht oder 13, von seinem jüngeren Vetter sieben oder nur drei Jahre. Auch wenn es nicht sinnvoll ist, moderne Vorstellungen von Altersgleichheit und damit einhergehenden Möglichkeiten der emotionalen Bindung eins zu eins auf das 14. Jahrhundert zu übertragen, so scheint gerade die enge Bindung an den Vetter Friedrich, die von der Forschung immer wieder betont wird, für einen eher geringen Altersunterschied zwischen beiden zu sprechen.

Das Haus Habsburg von Rudolf I. bis Friedrich dem Schönen

Рис.4 Ludwig IV. der Bayer

Jugend und Erziehung

Über die Jugendjahre Ludwigs liegt uns genau ein Quellenbericht vor, der aus dem Augustinerchorherrenstift Dießen in Oberbayern stammt und 1365 – also deutlich nach dem Tod des Kaisers – verfasst wurde. Hier heißt es: »Herzog Ludwig wurde schon als kleiner Junge in Wien zusammen mit den Söhnen des Herzogs von Österreich in Latein unterrichtet.«9 Er erhielt die standesübliche höfische Erziehung also am Hof seiner habsburgischen Verwandtschaft. Der erwähnte Herzog von Österreich war Albrecht I., Sohn König Rudolfs, der Österreich an die Habsburger gebracht hatte. An seinem Hof wurde Ludwig zusammen mit seinen Vettern Rudolf I., Friedrich dem Schönen und Leopold I. erzogen, die allesamt in seinem weiteren Leben eine wichtige Rolle spielen sollten.

Königswahlen und bayerische Politik

1291 war Rudolf von Habsburg gestorben, und die Fürsten hatten nicht seinen Sohn Albrecht, sondern Adolf, den Grafen von Nassau, zum König gewählt. 1298 nutzte Albrecht von Österreich jedoch die Unzufriedenheit im Reich und ließ sich gegen Adolf zum König erheben. Im Kontext dieser Thronstreitigkeiten sehen wir Ludwig IV. erstmals als politischen Akteur. Sein Bruder Rudolf hatte Mechthild von Nassau, die Tochter König Adolfs, geheiratet und unterstützte seinen Schwiegervater. Ludwig hingegen stand auf Seiten des Habsburgers, zu dessen Wählern er als pfalzgräflicher Kurfürst gehört hatte.

Das Königtum Albrechts brachte Veränderungen für Oberbayern: Rudolf I. musste die gleichberechtigte Teilhabe Ludwigs an der Regierung anerkennen. Unter dem Druck des Königs arrangierten sich die Brüder und führten ihre Herrschaft gemeinsam. Als er 1308 ermordet wurde, kamen die Differenzen aber erneut zum Vorschein, und wir greifen von nun an Ludwig IV. mehr und mehr als selbstständig agierenden Fürsten. In diesem Jahr wählten die Kurfürsten Heinrich von Luxemburg zum König – wie schon bei Rudolf von Habsburg ein vor allem regional bedeutender Graf, dessen Königtum den Grundstein für den Aufstieg seiner Familie legte. Zu 1308 ist eine Wahlabsprache überliefert, die als potenzielle Kandidaten auch Rudolf und Ludwig nennt. Dies dürfte freilich eher auf ihre Stellung als Kurfürsten zurückzuführen sein – sie werden ausschließlich als Pfalzgrafen bei Rhein, nicht aber als Herzöge von Bayern tituliert – als auf eine ernsthaft betriebene Kandidatur. In der Wahlanzeige für Heinrich VII. wird nur Rudolf namentlich genannt; man kann aber aus einer Zeugenliste schließen, dass Ludwig im Wahlort Frankfurt am Main ebenfalls anwesend war. Dies lässt den Schluss zu, dass er sich auch an dieser Königswahl beteiligt hat.

Bruderstreit

Die Beziehung zwischen den Brüdern Rudolf und Ludwig kühlte nach der Königswahl Heinrichs VII. merklich ab. Rudolf wollte sich – in altbewährter wittelsbachischer Tradition – durch eine Heiratsverbindung an den neuen König binden. Da er selbst verheiratet war, sollte sein ältester Sohn eine Tochter des Königs heiraten. Für deren Ausstattung griff Rudolf eigenmächtig auf Besitzungen zurück, über die er nur gemeinsam mit seinem Bruder Ludwig hätte verfügen dürfen. Die Zwistigkeiten zwischen den Brüdern eskalierten und wurden durch Teilung beigelegt. Am 1. Oktober 1310 schlossen Rudolf und Ludwig in München den eingangs zitierten Vertrag: Sie verkündeten, dass eine Landesteilung durchgeführt worden sei; Rudolf falle der Teil rund um München, Ludwig der um Ingolstadt zu. Diese Teilung war aber nur von kurzer Dauer: Schon 1313 kam es zu einem neuen Hausvertrag. Ludwig und Rudolf einigten sich darauf, Oberbayern wieder zu vereinen und gemeinsam zu regieren – die Kurstimme sollte lebenslang bei Rudolf I. verbleiben.

Das Verhältnis zwischen den beiden war in diesen Jahren Teil der politischen Entwicklungen auf Reichsebene und der Auseinandersetzungen rund um das wittelsbachische Teilherzogtum Niederbayern. Hier, im Südosten des Reiches, trafen die Interessen der drei großen Dynastien aufeinander: Habsburger, Luxemburger und Wittelsbacher. König Rudolf I. hatte Österreich, die Steiermark und Kärnten für die Habsburger gewonnen, Heinrich VII. konnte für die Luxemburger das zum Reich gehörende Königreich Böhmen sichern. Damit grenzten die Interessensphären der drei Familien in Niederbayern aneinander, und es kam mehrfach zu militärischen Auseinandersetzungen.

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Abb. 3  Die Besitzungen der Habsburger, Luxemburger und Wittelsbacher im 13. und 14. Jahrhundert

Die erste Ehefrau: Beatrix von Schweidnitz

In beinahe allen Handbüchern, Lexikonartikeln und Biografien kann man Folgendes lesen: Um das Jahr 1308 heiratete Ludwig IV. Beatrix von Glogau. Die erste Ehe scheint ein gut gesicherter Tatbestand zu sein. Bei näherem Hinsehen erweisen sich aber zwei Bestandteile dieser Aussage als problematisch; darauf hat jüngst Tobias Appl aufmerksam gemacht.10 In einer gut informierten und zeitnahen Quelle zur Hochzeit lesen wir nämlich: »Er selbst [Ludwig], der erlauchte Herzog, führte dann Beatrix, die Tochter des edlen Polenherzogs Bolko, heim.«11 Die erste Frau Ludwigs war gar keine Glogauerin, sondern die Tochter Herzog Bolkos I. von Schweidnitz. Glogauer und Schweidnitzer waren unterschiedliche Zweige der Piastenfamilie. In der Forschung wird dieser Bericht gemeinhin korrigiert, ohne dass die Gründe dafür ersichtlich wären. Auch wenn es für die Beurteilung der politischen Dimension der Hochzeit keinen gravierenden Unterschied macht, welche Piastin Ludwig geehelicht hat, ist es doch erstaunlich, dass über die Identität der Beatrix so große Unklarheit herrscht. Schließlich wird sie später mit ihrem Mann zur Königin gekrönt.

Aber nicht nur die Herkunft der Braut, auch der Zeitpunkt der Hochzeit gibt Anlass zur Nachfrage. Die oben zitierte Chronik nennt kein Datum; das in der Forschung oftmals angenommene Jahr 1308 wird aus dem Geburtsjahr Mechthilds, der ersten Tochter von Beatrix und Ludwig, rückgeschlossen. Diese kann frühestens neun Monate nach der Hochzeit auf die Welt gekommen sein. Nimmt man für die Geburt das Jahr 1309 an, muss die Hochzeit 1308 oder Anfang 1309 stattgefunden haben. Woher aber wissen wir, wann Mechthild geboren wurde? Wenn in diesem Kontext auf den Hochzeitstermin 1308 verwiesen wird, haben wir es mit einem Zirkelschluss zu tun.

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Abb. 4  Bildnis der ersten Gemahlin Ludwigs IV., Beatrix von Schlesien-Schweidnitz, hier irrtümlich als Beatrix von Glogau bezeichnet. – Kupferstich von Joseph Anton Zimmermann aus dem Jahr 1773

Alternativ zu 1308 findet sich für die Geburt Mechthilds in der Forschung auch das Jahr 1313. Zum Juni dieses Jahres heißt es in einem Vertrag zwischen Ludwig und seinem Bruder Rudolf: »i[h]m [Ludwig] und seinen chinden, ob er chinde gewinnet, daz Got gebe.«12 Da in diesem Vertrag an anderer Stelle von den Erben der Vertragspartner die Rede ist, kann man diese Formulierung nur auf die männlichen Nachkommen beziehen; dann wäre hiermit keine Aussage über Mechthild verbunden. Versteht man unter Kindern auch die Töchter, was sprachlich näherliegt, kann man diese Formulierung dahingehend deuten, dass Ludwig und Beatrix trotz längerer Ehe keine Kinder haben; diesem beklagenswerten Zustand soll Gott abhelfen. Nimmt man die Geburtsdaten der übrigen Kinder des Ehepaares hinzu, ergibt sich folgendes Bild: Die jüngeren Geschwister sind 1314, 1315, 1316, 1318 und 1319 geboren. Diese Regelmäßigkeit verweist für Mechthilds Geburt eher auf das Jahr 1313. Dazu passt auch, dass ihre Hochzeit mit dem Landgrafen Friedrich von Thüringen zwar 1323 vereinbart, aber erst 1328 geschlossen wurde. Offenbar war Mechthild 1323 noch zu jung; ein weiteres Indiz für eine Geburt im Jahr 1313, nicht 1309.

Bedient man sich des auf diesen Überlegungen basierenden Geburtstermins der ersten Tochter als Datierungshilfe für die Hochzeit der Eltern, muss die Folgerung lauten: Vor 1313 heiratete Ludwig IV. Beatrix von Schweidnitz.

Durch seine Heirat mit Beatrix hat Ludwig IV. die Verbindungen zu seinen niederbayerischen Vettern gestärkt. Stephan I. von Niederbayern war mit Beatrix’ Schwester Judith verheiratet. Er und sein Bruder Otto III. setzten Ludwig daraufhin zum Vormund für ihre minderjährigen Söhne ein. Stephan starb 1310, Otto III. 1312. Ludwig regierte fortan als Vormund ihrer Söhne über Niederbayern und konnte dadurch seine Machtbasis beträchtlich erweitern.

Dies brachte ihn in Konflikt mit den österreichischen Herzögen Friedrich dem Schönen und Leopold I., die ihren Einfluss auf Niederbayern ausbauen wollten. Die Gelegenheit dazu ergab sich, als die niederbayerischen Herzogswitwen Agnes und Judith die Vormundschaft über ihre Söhne an die Habsburger übertrugen. Es kam in dieser Sache mehrfach zu direkten Verhandlungen zwischen den Vettern Ludwig IV. und Friedrich dem Schönen, die sich ja aus Kindertagen in Wien kannten. Die Fürstenfelder Chronik erzählt, Ludwig habe sich mit gezücktem Schwert auf seinen Vetter gestürzt; die guten Beziehungen Ludwigs zu den Habsburgern standen angesichts handfester Machtpolitik offenbar zurück. Aus dieser Episode auf einen jähzornigen Charakter des Wittelsbachers schließen zu wollen, ist methodisch jedoch fragwürdig. Eher haben wir es mit einem erzählerischen Motiv zu tun, das auf eine waffentragende, gewaltaffine Adelswelt verweist, die den gerechten Zorn würdigt. Der Chronist sieht in Ludwig keinen cholerischen Wüterich, sondern steht ihm positiv gegenüber; Friedrich hingegen beschreibt er als selbstsüchtig und gottvergessen.

Die Wittelsbacher in Niederbayern

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Die Schlacht von Gammelsdorf

Die Auseinandersetzungen um die Vormundschaft wurden militärisch ausgetragen. Am 9. November 1313 kam es bei Gammelsdorf zu einem Schlagabtausch, aus dem Ludwig IV. siegreich hervorging. Diese Schlacht spielt in der Memoria Ludwigs im 19. Jahrhundert eine gewichtige Rolle und war für dessen weitere Karriere sicherlich von großer Bedeutung. In der Forschung wird Gammelsdorf mal als kleines Scharmützel, mal als bedeutende Ritterschlacht gewertet. Entscheidend sind vor allem zwei Aspekte: Der Sieg Ludwigs sicherte ihm politisch den Zugriff auf Niederbayern. Verglichen mit den Habsburgern und Luxemburgern verfügten die oberbayerischen Herzöge über weniger Mittel, zumal sich Rudolf und Ludwig auch nach Gammelsdorf nicht einig sein sollten. Daher war die Vormundschaft über Niederbayern sehr wichtig. Der Sieg Ludwigs gab seinen Anhängern darüber hinaus die Möglichkeit, ihn als erfolgreichen Feldherrn in Szene zu setzen. So behaupteten bayerische Chronisten, der Triumph von 1313 habe Ludwig im Reich bekannt gemacht und bilde damit die Grundlage für sein späteres Königtum.

Hier wird an die Vorstellung angeknüpft, Herrschaft basiere auf militärischem Erfolg und Feldherrnruhm. Diese Darstellung erfolgte freilich nach der Königswahl von 1314 und unterlegt den Abläufen einen nachträglichen Sinn. Hinzu kommt, dass man den Verweis auf Feldherrntugenden auch als Kompensationsstrategie lesen kann. Ludwig fehlten nämlich einige andere Qualitäten, mit denen man seine Eignung für das Königtum hätte propagieren können: Er entstammte weder einer Königsfamilie, noch war er besonders reich. Klar ist, dass Ludwig nicht allein auf Grund seines Sieges bei Gammelsdorf König wurde; dieser war aber für seinen Aufstieg unerlässlich.

Weder die Habsburger Friedrich und Leopold, noch der Wittelsbacher Rudolf waren bei Gammelsdorf anwesend. Dies machte es möglich, dass der Ruhm alleine Ludwig zufiel und es nicht zu einem grundlegenden Zerwürfnis mit den österreichischen Vettern kam. Die Frage, ob Ludwig ein fähiger Feldherr war, ist für uns heute nur schwer zu beantworten. Die zwei Schlachten, die unter seinem Kommando geschlagen wurden – Gammelsdorf 1313 und Mühldorf 1322 –, verliefen für ihn erfolgreich. Sein persönlicher Anteil daran ist nicht zu ermessen, weil die chronikalischen Quellen zu beiden Treffen meist parteiisch sind und dazu tendieren, ihre Darstellung auf einen Feldherrn zu fokussieren.

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Abb. 5  Säule zum Gedenken an die Schlacht von Gammelsdorf im Jahr 1313, errichtet 1842

Gut zwei Monate vor der Schlacht von Gammelsdorf war Kaiser Heinrich VII. in Italien gestorben, und die Suche nach einem neuen König begann. Unter den potenziellen Kandidaten war auch Ludwig IV., der es bis Ende 1313 geschafft hatte, aus dem Schatten seines Bruders Rudolf zu treten und eigenständige Politik zu betreiben. Seine Position basierte zum einen auf der Stellung der Wittelsbacher im Reich: Ludwig war Reichs- und Kurfürst und gehörte zu einer altehrwürdigen und angesehen Familie. Darüber hinaus hatte er sich durch die Hinwendung zu Niederbayern und den Sieg über die Habsburger eine eigene Machtbasis geschaffen, die er sich freilich mit seinem Bruder teilen musste. Umso erstaunlicher erscheint es, dass der nachgeborene Sohn über seine ererbte Stellung hinaus zum König des römisch-deutschen Reiches aufsteigen sollte.

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  Von der Doppelwahl zum Doppelkönigtum (1314–1325)

Am 20. Oktober 1314 wurde Ludwig IV. vor den Toren Frankfurts zum König des römisch-deutschen Reiches gewählt. Doch wie war es dazu gekommen? Ludwigs Aufstieg zum Königtum war nicht vorgezeichnet, und die Wahl nach dem Tod Heinrichs VII. lief nicht zwangsläufig auf den Wittelsbacher zu. Dies wird schon daran deutlich, dass zwischen Tod und Wahl über ein Jahr verging und die Wahl 1314 zwei Könige hervorbrachte: Neben Ludwig wurde auch sein Vetter Friedrich der Schöne, Herzog von Österreich, zum König gewählt. Es gab also zwei Könige, und die Wahlmonarchie steckte in einer Krise.

Die Wahl von 1314

Betrachten wir zunächst die Wahl selbst. Wahlberechtigt waren die sieben Kurfürsten: die Erzbischöfe von Köln, Trier und Mainz, der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg. 1314 wurden aber nicht sieben, sondern neun Kurstimmen abgegeben, weil es für Böhmen und Sachsen je zwei Kandidaten gab, die für sich das Kurrecht in Anspruch nahmen.

Die Stimmverteilung der Kurfürsten

Wähler Ludwigs IV.

Wähler Friedrichs des Schönen

Johann, König von Böhmen; Balduin, Erzbischof von Trier; Peter Aspelt, Erzbischof von Mainz; Johann, Herzog von Sachsen-Lauenburg; Waldemar, Markgraf von Brandenburg

Heinrich von Kärnten, König von Böhmen; Heinrich von Virneburg, Erzbischof von Köln; Rudolf, Herzog von Sachsen-Wittenberg; Rudolf I., Pfalzgraf bei Rhein (Bruder Ludwigs IV.)

Die Situation war also verfahren und juristisch nicht zu klären. Eine gesetzliche Regelung zu Stimmrecht und -abgabe der Kurfürsten sollte erst 1356 in der Goldenen Bulle fixiert werden. Auch das Mehrheitsprinzip war noch nicht etabliert und wurde erstmals 1338 festgelegt. Diese Regelungen waren eine Reaktion auf die Doppelwahl von 1314 und das aus ihr resultierende Chaos im Reich. Es ist also wenig sinnvoll, in der wertenden Rückschau des Historikers feststellen zu wollen, welcher Kandidat rechtmäßig oder rechtmäßiger gewählt wurde: Beide Könige nahmen dies für sich in Anspruch.

Der Weg zur Doppelwahl

Wie war es zu dieser Situation gekommen? Heinrich VII. war völlig überraschend gestorben, so dass bei seinem Tod keine Vorbereitungen für seine Nachfolge getroffen worden waren. In einem Brief vom 15. Januar 1314 berichtet der Erzbischof von Köln Papst Clemens V. von einer Besprechung einiger Kurfürsten, die über mögliche Kandidaten für die Königswahl beraten hätten, und nennt vier Namen oder Funktionen: König Johann von Böhmen, die Herzöge von Bayern und Österreich sowie den Grafen von Nevers. Letzterer schied bald aus dem Kreis der Kandidaten aus und braucht hier nicht zu interessieren. Strittig ist, wer mit ›der Herzog von Bayern‹ gemeint war: Rudolf I. oder Ludwig IV.? Die Titulatur scheint auf Ludwig zu verweisen, da Rudolf seit der Einigung von 1313 die pfälzische Kurwürde allein ausübte und wohl als Pfalzgraf bezeichnet worden wäre. Folgt man dieser Interpretation, war Ludwig IV. schon frühzeitig unter den möglichen Kandidaten. Dabei muss aber ungeklärt bleiben, ob er selbst initiativ wurde oder andere ihn ins Spiel brachten. Die ihm wohlgesonnene »Chronik von den Taten der Fürsten« erzählt, wie sehr er sich gegen die ihm angetragene Kandidatur gesträubt habe: »Er äußerte sich bestürzt, da er der Ansicht war, diese Ehre sei für ihn zugleich eine schwere Bürde, die zu tragen seine Kräfte nicht ausreichten.«13 Dies ist allerdings weniger als ein Tatsachenbericht, sondern als wohlmeinende Propaganda zu werten, die auf den Topos der Bescheidenheit und die Tugend der Demut rekurriert.

Das Haus Luxemburg von Heinrich VII. bis Karl IV. (Die Přemysliden / Könige von Böhmen)

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Zunächst waren es andere Bewerber, die das Vorfeld der Königswahl dominierten: König Johann von Böhmen und Herzog Friedrich der Schöne von Österreich. Ersterer war der älteste Sohn des verstorbenen Kaiser Heinrichs VII. und seit 1310 König von Böhmen. Für ihn sprachen seine königliche Abstammung und die Tatsache, dass die Reichsfürsten mit der Regierung seines Vaters im Allgemeinen zufrieden gewesen waren. Auch Friedrich der Schöne stammte aus einer königlichen Familie: Er war Enkel König Rudolfs I. und Sohn König Albrechts I. Diese Herkunft war für beide Kandidaten Vor- und Nachteil gleichermaßen: In der adligen Vorstellung von Familie und Abstammung hatten königliche Vorfahren Gewicht. Aus der Sicht der Kurfürsten bedeutete eine Vater-Sohn-Abfolge aber auch Gefahr für das Wahlrecht.

Es bildeten sich zwei Parteien heraus, deren Mitglieder ganz unterschiedliche Motive hatten. Dazu gehörten reichspolitische Überlegungen: die Stärkung des Wahlgedankens, die Suche nach einem König, der das Reich lenken würde, ohne den Einfluss der Fürsten zu beschneiden, die Besorgnis vor zu ausgeprägten Hausmachtinteressen des Königs. Hinzu traten persönliche Vorlieben und Vorteile für einzelne Kurfürsten, etwa Geldzahlungen oder Privilegien. Verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Kurfürst und Kandidat garantierten allerdings nicht immer eine Stimme: Während Balduin von Trier sich zunächst für seinen Neffen Johann von Böhmen einsetzte, verweigerte Rudolf I. seinem Bruder Ludwig konsequent die wittelsbachische Kurstimme. Die beiden Lager – das luxemburgische hinter Johann von Böhmen und das habsburgische hinter Friedrich von Österreich – standen sich unversöhnt gegenüber.

Um Bewegung in die Wahl zu bringen, wechselte die luxemburgische Partei den Kandidaten und bewegte Johann zur Aufgabe seiner Kandidatur. Nun setzten Balduin von Trier und Peter von Mainz auf Ludwig IV. Dies hatte verschiedene Gründe: Für ihn sprachen neben seiner Stellung als Reichsfürst zunächst Ansehen und Alter seiner Familie sowie die Tradition der wittelsbachischen Königskandidatur bei den Wahlen 1273 und 1308. Zudem machte die Situation in Bayern es für die Kurfürsten wenig wahrscheinlich, dass ein König Ludwig auf Grund seiner Hausmacht allzu mächtig werden würde. Er herrschte aus eigenem Recht nur über Oberbayern und die Pfalz – und das gemeinsam mit seinem Bruder, mit dem er meist im Streit lag. Die Vormundschaft über Niederbayern würde in absehbarer Zeit enden – der älteste niederbayerische Neffe war 1314 neun Jahre alt. Somit reihte sich Ludwig in die Reihe von Herrschern ein, die Peter Moraw als »kleine Könige« bezeichnet hat. In den Augen seiner Wähler prädestinierte gerade die begrenzte Machtbasis Ludwig zum Königtum.

Man muss den Wittelsbacher darüber hinaus als Gegenkandidaten zum Habsburger Friedrich verstehen. Dies lag in der Nachbarschaft beider Herzogtümer und vor allem in den vergangenen Auseinandersetzungen begründet. Hier kommt Ludwigs Sieg bei Gammelsdorf zum Tragen: Weniger der Ruhm als Feldherr an sich, sondern der Sieg über die Habsburger war für seine Wähler von Bedeutung.

Warum König werden?

Bleibt die Frage, warum Ludwig selbst König werden wollte. Die in den Quellen bezeugten Bescheidenheits- und Pflichterfüllungstopoi bringen uns hier nicht weiter. Wenn er auch nicht der ursprüngliche Initiator gewesen sein mag, hat Ludwig sich der Kandidatur und Wahl aktiv gestellt, weil er sich davon Vorteile versprach. Hier ist es allerdings wichtig, seine Entscheidung zum Königtum vom späteren Verlauf der Königsherrschaft zu trennen. Diese brachte Ludwig zahlreiche Konflikte ein, die er als Herzog von Bayern so nicht gehabt hätte. 1314 barg die Krone aber offensichtlich attraktive Möglichkeiten: vor allem Prestige und neue Handlungsspielräume gegenüber seinen Konkurrenten. Dies galt für seinen Bruder Rudolf und vor allem für seinen Vetter Friedrich, dessen Königserhebung Ludwig zu verhindern hoffte. Darüber hinaus hatten die territorialen Gewinne Rudolfs I. von Habsburg (Österreich) und Heinrichs VII. von Luxemburg (Böhmen) gezeigt, wie nutzbringend das Königtum für die eigene Hausmacht eingesetzt werden konnte. Dies mögen Vorbilder gewesen sein, die Ludwig zur Kandidatur bewogen. Es sollte ihm denn auch tatsächlich gelingen, aus seinem Königtum Profit für seine Dynastie zu schlagen.

Wie schwierig es aber zunächst werden sollte, das Königtum zu erlangen, zeigte sich unmittelbar nach der Wahl. Die ersten elf Jahre – von 1314 bis 1325 – war Ludwig damit beschäftigt, die Krone für sich zu sichern.